Keynote Jürgen Mistol
Erst einmal herzlich willkommen in Regensburg. Es freut mich, dass Sie sich diese schöne Stadt und zudem das marinaforum als Veranstaltungsort ausgesucht haben. Schon bei der Planung dieses Gebäudes haben wir als Stadt Regensburg konsequent an Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung gedacht. Das marinaforum ist kein kompletter Neubau, es nutzt die denkmalgeschützte Substanz einer architektonisch besonderen Halle, es wird mittels Grundwasser beheizt und gekühlt, und mein persönliches Highlight hier ist die Deckenkonstruktion, eine ganz einfache und preiswerte Konstruktion und noch dazu sehr formschön.
Sie befinden sich in einem neuen Stadtquartier in fußläufiger Entfernung zur historischen Altstadt. „Regensburg ist alt und neu zugleich“ schrieb der Benediktinermönch Otloh schon vor ziemlich genau tausend Jahren, zu einem Zeitpunkt, als die Stadt selbst schon etwa tausend Jahre alt war.
Schon die Römer hatten sich an einer Beton-Rezeptur versucht. Betonbauten überdauern in Rom mittlerweile über 2000 Jahre den Einflüssen der Witterung. Und auch in Regensburg finden Sie noch Reste der alten Römermauer, die ab 179 nach Christus errichtet wurde, als das Römerlager „Castra Regina“ – die Burg am Regen – offiziell gegründet wurde. Gehen wir davon aus, dass auch hier dieser „Römische Beton“ verwendet wurde.
Dabei profitierten die Römer nicht nur von der Stabilität des Materials, sondern im Vergleich zum Bauen mit Marmorblöcken, aus denen zuweilen Paläste und Tempel errichtet worden waren, war Bauen mit Beton viel billiger. Die spinnen, die Römer? Ganz und gar nicht, denn an den positiven Eigenschaften von Beton hat sich bis heute nichts geändert, wären wir heute nicht mit den massiven Folgen des weltweiten Klimawandels konfrontiert.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten wollen, müssen wir die Erderwärmung – im Vergleich zum vorindustriellen Wert – auf deutlich unter zwei Grad Celsius halten. Andernfalls wird uns der Klimawandel teuer zu stehen kommen. Eine aktuelle Studie geht in Deutschland davon, dass je nachdem wie der Klimawandel fortschreitet, die zukünftigen Kosten zwischen 280 bis zu 900 Milliarden Euro liegen. Je später dass wir gegensteuern, desto teurer wird es. Schon um den finanziellen Schaden zu begrenzen, müssen wir den CO2-Ausstoß drastisch senken.
Und dass die heutige Art und Weise zu bauen nicht nachhaltig ist, wissen wir. Bau und Betrieb von Gebäuden verursachen in Deutschland nicht nur 40 Prozent des CO2-Ausstoßes, sondern auch 52 Prozent unseres Abfallaufkommens und verbrauchen 90 Prozent der mineralischen, nicht nachwachsenden Rohstoffe. Und daran hat auch der Beton seinen Anteil. Gerade Herstellung und Einsatz von Beton stellen zunehmend ein Problem dar. Ja, Beton wird oft als Klimakiller bezeichnet. Allein in Deutschland fallen durch die Herstellung jedes Jahr etwa 20 Millionen Tonnen CO2 an. Weltweit sind es 2,8 Milliarden Tonnen CO2, die entstehen. Das sind etwa acht Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen. Etwa ein Drittel wird durch das Anheizen der Brennöfen freigesetzt. Zudem wird Sand – auch eine unabdingbare Zutat – immer kostbarer. Letztlich ist die Frage, wie lange Betonbauwerke heutzutage halten und wie sie sich später entsorgen lassen, auch das zählt zur Ökobilanz dazu. Der Bauwirtschaft kommt daher eine besondere Verantwortung zu, wenn es darum geht, den enormen Ressourcen- und Energieverbrauch weltweit stark zu reduzieren.
Wenn es um die Auswirkungen des Klimawandels geht, meine Damen, meine Herren, sitzen wir alle im gleichen Boot. Vor diesem Hintergrund ist klar, ein „Weiter so!“ ist keine Option. Im Sinne künftiger Generationen brauchen wir eine Bauwende.
Aber wie können wir eine Bauwende gestalten? Hierzu hilft uns ein Blick auf die Abfallhierarchie im Kreislaufwirtschaftsgesetz: Remain – Reduce – Reuse lautet hier der Grundsatz. Die Kreislaufwirtschaft kann das Ungleichgewicht aus immensen Abfallaufkommen und Ressourcenverbrauch im Baubereich auflösen. Was heißt das konkret:
Remain: Eine der wichtigsten Aufgaben ist der Erhalt unseres Gebäudebestands. Wir Bündnisgrünen reden oft über die sozialökologische Transformation – anhand des Gebäudebestands lässt sich das gut aufzeigen. Wenn wir statt abzureißen und anschließend neu zu bauen, lieber Flächen umwidmen, aufstocken, umbauen, dann lösen wir die Klima-Frage des Gebäudesektors und die Wohnungsfrage gleichzeitig.
Reduce: Der Ressourcenverbrauch und die Graue Energie muss über den gesamten Lebenszyklus reduziert werden. Bauwende heißt nachwachsende, schadstofffreie und kreislauffähige Baustoffe aber auch Energieeffizienz.
Reuse: Wir müssen die gebaute Umwelt als Materiallager verstehen und Bauteile hochwertig wiederverwenden. Erst danach kommt das Recycling.
Die wichtigste Bau-Regel für mehr Klimaschutz lautet also: weniger Abriss, mehr qualitätsvolles Bauen im Bestand und Recycling! Denn den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen wir nicht im Neubau, sondern im Bestand. Statt nur neu zu bauen, wird das Umbauen und Modernisieren immer wichtiger. Dennoch liegt die Sanierungsrate in Deutschland seit Jahren bei nur knapp einem Prozent, obwohl zum Erreichen der Klimaziele mindestens 2 Prozent notwendig wären. Bestehende Gebäude binden wertvolle Baumaterialen, Energie und Arbeitszeit. Bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Bestandsgebäudes sollte deshalb nicht nur der aktuelle Energiebedarf für den Betrieb, sondern auch die bereits in den Mauern des Gebäudes gebundene graue Energie berücksichtigt werden. Die Sanierung von Gebäuden und die Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärmeerzeugung haben ein riesiges Potenzial bei Kampf gegen die Erdüberhitzung. Angesichts von stark steigenden Energiepreisen für fossile Energien ist die Einsparung und Umstellung auf erneuerbare Energien nicht nur die beste Lösung für das Klima, für den Erhalt der Bausubstanz, sondern auch für dauerhaft bezahlbare Wärmekosten. Ist der Abriss eines Gebäudes unumgänglich, ist die Recyclingfähigkeit von Bauprodukten und Bauarten entscheidend.
Gleichwohl muss die Produktion klimabelastender Baustoffe, wie etwa Beton, - und das hören Sie hier im Saal vermutlich nicht gerne - reduziert und stattdessen recycelte Baustoffe oder nachwachsende bzw. ökologische Marteralien eingesetzt werden. Der Ruf nach Kreislaufwirtschaft ist unüberhörbar. Vor allem brauchen wir Mittel und Wege, den Beton wieder aufzubereiten. Von den derzeit jährlich anfallenden etwa 52 Millionen Tonnen Bauschutt (überwiegend aus dem Hochbau) werden zwar knapp 80 recycelt, von diesen wird aber nur ein Bruchteil wieder als hochwertiger Betonzuschlagstoff eingesetzt. Nur 0,6 Millionen Tonnen an recyceltem Bauschutt werden als Zuschlag zur Betonherstellung eingesetzt. Dabei landet der Großteil des Betonbruchs, der als Grundlage für die Herstellung von Recyclingbeton sehr gut geeignet wäre, im Straßenunterbau, in Verfüllungen oder in Baugruben. Solches „Downcycling“ behindert die Innovation. Das kann und darf nicht unser Anspruch sein.
In den USA, Belgien oder der Schweiz werden hingegen bis zu 15 Prozent der Betonmengen als Recyclingbeton verbaut. Gerade die Schweizer machen es uns beispielhaft vor, indem sie Teile der natürlichen Rohstoffe durch Recyclingmaterial ersetzen. Dort gibt es – je nach Anspruch an das Produkt – ganz unterschiedliche Mischungsverhältnisse, obwohl die Normung inhaltlich in vielen Fällen identisch mit unserer ist.
Ja, es ist laut und es ist dreckig. Aber es ist möglich und Recyclingbeton ist ein großes Zukunftsversprechen. Ich weiß, dass es in Ihrer Branche mittlerweile viele Innovationen bei der Herstellung und Wiederverwertung von Betonbaustoffen gibt. Hier sehe ich enormes Potential, um die Produktion künftig klimaneutral zu machen. Und an dieser Stelle sind Sie als Innovationstreiber und Problemlöser unverzichtbar im Kampf gegen den Klimawandel. Auch wenn ich vorher etwas despektierlich den Begriff „Klimakiller“ Beton verwendet habe, so ist mir doch wichtig zu betonen, dass wir Grüne Innovationen in der Zement- und Stahlbranche – und wir brauchen beide zukünftig und auch hier im Land – als bauindustrielle Kernsektoren fördern wollen, damit diese weniger klimaschädlich und energieintensiv wirtschaften und so mittel- und langfristig im globalen Wettbewerb um Zukunftstechnologien bestehen können.
Gleichzeitig ist es an der Politik, auf allen Ebenen die notwendigen Weichen für nachhaltiges Bauen zu stellen. Allen voran muss die öffentliche Hand eine Vorbildfunktion einnehmen und nachhaltiges Bauen bei eigenen Bauvorhaben zum Standard machen. Als größter Bauherr in Deutschland kann sie zum Treiber der Kreislaufwirtschaft am Bau werden. Mit dem Qualitätssiegel Nachhaltiges Bauen (QNG) hat die Bundesregierung die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) deutlich gestärkt, so dass eine treibhausgasmindernde Lenkungswirkung über alle Lebenszyklusphasen erzielt wird.
Dennoch sind die Standards hierzulande und europaweit noch nicht ausreichend, um die Kreislaufwirtschaft am Bau konsequent umzusetzen. Rechtsrahmen, Fördersystematik und Vergabekriterien müssen weiter gezielt auf klimazielkonformes, ressourcenschonendes und kreislaufgerechtes Sanieren und Bauen ausgerichtet werden. Insbesondere muss die Wertstoffgewinnung aus dem Rückbau gefördert und das Abfallrecht überarbeitet werden. Dazu gehört beispielsweise die Sicherstellung der Getrenntsammlung von Bau- und Abbruchabfällen, die Gleichstellung und Förderung von Sekundärmaterialien oder die Festlegung materialspezifischer Recyclingquoten für Bau- und Abbruchabfälle. Auch um Mindestanforderungen an die Hersteller und die Anpassung der technischen Normen werden wir nicht herumkommen, z.B. durch die Einführung einer Mindest-Rezyklateinsatz-Quote oder Auflösen von Hemmnissen in den technischen Normen wie etwa maximale Grenzen für den Rezyklateinsatz. Mit der Normungsroadmap ‚Circular Economy‘ wurde Anfang des Jahres ein umfassendes Handlungswerk für die grüne Transformation vorgelegt. Gut so.
Aber auch das Bauordnungsrecht bietet den Ländern einige Möglichkeiten, nachhaltiges Bauen darin zu verankern. Mit der letzten Novelle der Bayerischen Bauordnung 2021 hat man jedoch die Chance verpasst, das Bauen im Bestand und den Ausbau erneuerbarer Energien zu stärken. Den Kreislauf von fortwährendem Abriss und Neubau müssen wir mit einer neuen Umbaukultur durchbrechen. Dafür wollen wir die Bayerische Bauordnung zu einer „Umbauordnung“weiterentwickeln, die klimapositives Bauen fördert, klimaneutrales Bauen als Mindestmaß vorschreibt und Bauen im Bestand zum Standard macht.
Gestiegene Baukosten und der immer drängendere Fachkräftemangel zwingen zu neuen Lösungsansätzen für bezahlbaren Wohnraum. Serielles und modulares Bauen ist ein wichtiger Baustein zur Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum. Gebäude können so konstruiert werden, dass sie auseinander gebaut und die einzelnen Elemente wiederverwendet werden können. Dadurch werden Ressourcen geschont und die Zirkularität von Baustoffen gefördert. Auch beim Innenausbau können flexible Raumelemente eingesetzt werden, um Wohnraum je nach Bedarf zu erweitern oder zu verkleinern.
Neben den steigenden Bodenpreisen, der allgemeinen Teuerungsrate sowie Kostensteigerungen bei Material, Entsorgung und Energie sorgt insbesondere das zunehmende Dickicht technischer Standards und Regelwerde dafür, dass die Baukosten fortlaufend ansteigen. Mit der Einführung eines „Gebäudetyps E“ für innovative Konstruktionen und Baustoffe wollen wir normenreduziertes und experimentelles Bauen ermöglichen. Ziel ist es, einen Weg zu eröffnen, mit dem das Bauen wieder auf die Kernanforderungen der Bauordnung reduziert werden kann, um durch innovative und individuelle Planung nachhaltige Gebäude einfach und zu bezahlbaren Kosten zu bauen. Weiterhin uneingeschränkt zu beachten sind selbstverständlich die Schutzziele der Bauordnungen: Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz. Ich hoffe, dass die Idee des „Gebäudetyps E“, der im Bayerischen Landtag fraktionsübergreifend Zustimmung findet, auch außerhalb Bayerns auf fruchtbaren Boden fällt.
Ich komme zum Schluss. Mit einem Zitat. Auf Latein, was mich wieder zu den Römern bringt.
“Non nobis solum nati sumus.” Wir sind nicht für uns allein geboren, wir handeln nicht für uns allein. Mit diesen Worten hat es Cicero bereits auf den Punkt gebracht. Was wir als Gesellschaft heute entscheiden und tun, reicht weit über unseren eigenen Horizont, wirkt weit in die Zukunft hinein. Die Frage heißt: (Die ist jetzt auf Englisch) Transformation by Desaster or by Design? Wir haben es jetzt in der Hand, unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft hinterlassen. Wir müssen viel Althergebrachtes über Bord werfen und Neues wagen. Und eins ist klar: Wir und insbesondere Sie werden sehr viel Kreativität brauchen. Aber es lohnt sich. Weil: Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, heute Gewinne auf Kosten von morgen zu machen. Und wie schon die Römer getüftelt haben, den Baustoff Beton zu optimieren, so bin ich optimistisch, werden auch Sie es schaffen, diesen Baustoff in eine neue, klimaneutrale Zeit zu transferieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!