Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen!
Je länger die Pandemie dauert, desto lauter werden die Rufe nach einer langfristigen politischen Strategie. Jetzt kann man es so machen, wie es vor eineinhalb Wochen der Kollege Prof. Dr. Bausback in einer Zwischenbemerkung zu meiner Rede getan hat. Damals habe ich diese langfristige Strategie schon angemahnt. Er hat dann mit dem Finger auf andere gezeigt – ich glaube, es war Baden-Württemberg – und gesagt, die haben auch keine langfristige Strategie. Tatsächlich haben wir bundesweit keine langfristige Strategie. Das ist die Crux. Auch auf Bundesebene gibt es diese langfristige, nach Regionen und Infektionsgeschehen differenzierte Strategie nicht, auch wenn Kollege Kreuzer heute meinte, es gäbe eine solche. Leider ist es nicht so.
Alle hangeln sich von MPK-Beschluss zu MPK-Beschluss, von Verordnung zur Verordnung, und immer schneller dreht sich das Rad, das das Regelwerk verändert. Viele Menschen draußen kommen gar nicht mehr mit, was denn gerade gilt und warum und wieso. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Problem, das man nach unserer Überzeugung lösen kann und auch lösen muss, wenn die Akzeptanz der mitunter sehr einschneidenden Maßnahmen bei den Menschen erhöht werden soll.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Über die Dramatik der aktuellen Situation sind wir uns hier im Hohen Haus mit einer Ausnahme weitgehend einig. Für uns GRÜNE ist klar: Es ist höchste Zeit zu handeln, und das auch mit der notwendigen Konsequenz. Wir haben teils schon vor Wochen vorgeschlagen, was jetzt endlich umgesetzt wird. Ich nenne exemplarisch nur die Forderung, die wir schon vor eineinhalb Wochen erhoben haben: An Silvester sollen keine Lockerungen durchgeführt werden. Ich nenne die Einführung des Wechselunterrichts in den höheren Schulklassen und die Einführung einer bundesweit einheitlichen Software zur Nachverfolgung von Infektionsketten durch die Gesundheitsämter. Alles das ist von uns GRÜNEN beantragt worden, alles ist von der CSU und den FREIEN WÄHLER abgelehnt worden. Hier muss ich Ihnen schon den Vorwurf machen, dass Sie wertvolle Zeit verstreichen haben lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss es sehr deutlich sagen. Der softe Lockdown war schlicht und einfach zu soft. Unsere Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze hat bei der letzten Regierungserklärung am 27. November ganz deutlich gesagt, dass sie befürchtet, dass die damals vom Ministerrat beschlossenen Maßnahmen nicht reichen werden. Dieses Hin und Her der Maßnahmen in den letzten Wochen und Monaten hat bei vielen Bürgerinnen und Bürgern, bei den Kommunen, bei Unternehmen, bei Kultur- und Freizeiteinrichtungen und bei Vereinen doch für große Unsicherheit gesorgt. Deshalb sage ich: Wir brauchen jetzt Verlässlichkeit, Einheitlichkeit und Transparenz. Wir brauchen in Bayern, aber auch in ganz Deutschland eine klare Linie. Nur damit schaffen wir Verlässlichkeit und Vertrauen in die notwendigen Maßnahmen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Ist es wirklich zielführend, mit drastischen Worten und erhobenem Zeigefinger die Bevölkerung wachrütteln zu wollen? Ist es wirklich zielführend, den Menschen vorzuwerfen, die Lage nicht ernst genug zu nehmen, wie es unser Ministerpräsident vor ein paar Tagen gesagt hat? Heute hat er es nicht gesagt. Vor ein paar Tagen hat man das aber so der Presse entnehmen können. Wir GRÜNE sagen: Wenn wir Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemie haben wollen, müssen wir die Menschen mitnehmen. Wir müssen ihnen auf Augenhöhe begegnen und dürfen ihnen nicht wie Knecht Ruprecht die Leviten lesen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wenn wir bei der Bekämpfung der Pandemie Erfolg haben wollen, müssen die Maßnahmen auch etwas taugen und dürfen nicht nur in homöopathischen Dosen verabreicht werden. Für uns GRÜNE ist klar: Wir müssen uns noch weiter ein- schränken, insbesondere dort, wo die Fallzahlen hoch sind. Wir müssen Gewohntes noch mehr reduzieren, und das mitunter auch drastisch, um zu verhindern, dass immer mehr Menschen schwer erkranken und sogar sterben. Deshalb appellieren wir GRÜNE an die Bürgerinnen und Bürger, diesen Weg mitzugehen und auch im Bekannten- und Freundeskreis für die Akzeptanz der Maßnahmen zu werben, die am Ende viele Leben retten können.
Das Gebot der Stunde ist es, die Kontakte massiv zu reduzieren. Jeder und jede von uns hat hierfür die Verantwortung; denn wir können das alles nur gemeinsam schaffen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass unser Gesundheitssystem nicht kollabiert und dass auch die Menschen, die in diesem System arbeiten, nicht kollabieren. Unser Gesundheitssystem ist an vielen Orten Bayerns nämlich bereits bei Oberkante Unterlippe angekommen. Ziel aller Maßnahmen muss es jetzt sein, dem Gesundheitssystem Entlastung zu verschaffen.
Eine stabile Kontrolle des Infektionsgeschehens ist notwendig, um diese Überlastung des Gesundheitssystems von den Gesundheitsämtern bis hin zu den Intensivstationen zu verhindern, das Risiko für schwere Verläufe und Spätfolgen zu verringern und ältere Menschen und Risikogruppen so zu schützen. Gleichzeitig wollen wir aber gewährleisten, dass auch für sie Teilhabe am sozialen Leben weiterhin möglich ist.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir GRÜNE fordern die Staatsregierung mit unserem Dringlichkeitsantrag deshalb auf, der Bevölkerung und allen mit der Pandemiebekämpfung befassten beruflichen Gruppen eine langfristige Perspektive auf der Grundlage eines verbindlichen Fünf-Stufen-Plans zu bieten. Ein solcher Plan ist die Basis für eine langfristige Strategie im Umgang mit COVID-19 in der Übergangsphase, bis ein ausreichender Anteil der Bevölkerung geimpft ist. Das wird noch einige Monate dauern. Das wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Dieser Plan soll durch eine Corona-Kommission des Landtags nach bundesweit einheitlichen Kriterien erarbeitet werden und auf das lokale Infektionsgeschehen reagieren. Warum eine Corona-Kommission? – Uns GRÜNEN ist das Einbeziehen von Expertinnen und Experten der Wissenschaft sehr wichtig. Dieser Sachverstand muss auch für die Bürgerinnen und Bürger erlebbar, transparent und nachvollziehbar sein. Allen muss klar sein, ab wann wo welche Maßnahmen gelten. Mit unserer Strategie wollen wir durch vorausschauendes, frühzeitiges und nachvollziehbares Handeln so viel Schutz wie nötig sicherstellen, aber gleichzeitig auch so viel Zusammensein, so viel Kultur und öffentliches Leben gewähren, wenn dies die Inzidenzzahlen irgendwann möglich machen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir brauchen in diesem Bereich Einheitlichkeit, damit dies die Menschen verstehen. Einheitlichkeit bedeutet aber nicht Gleichzeitigkeit. Wir brauchen einheitliche Maßnahmen, ohne dabei alle Landkreise und kreisfreien Städte gleich zu behandeln. Die Maßnahmen müssen vom konkreten Ausbruchsgeschehen abhängen.
Der Zehn-Punkte-Plan der Staatsregierung ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, greift aber unseres Erachtens viel zu kurz. Vor allem braucht es in ganz Deutschland einheitliche Regeln. Wir fordern die Staatsregierung auf, dies auf Bundesebene voranzubringen. Die Zeit drängt.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Ein solcher Fünf-Stufen-Plan muss zwingend medizinische und gesundheitswissenschaftliche Faktoren sowie wirtschaftliche und soziale Folgen berücksichtigen. Ich erinnere daran: Wir GRÜNE haben für Bayern bereits am 15. Mai 2020 eine beim Landtag angesiedelte Corona-Kommission beantragt, um den Sachverstand von außen zu nutzen und für die Menschen hier im Land erlebbar zu machen. Diese Corona-Kommission wurde mehrheitlich abgelehnt. Eine solche Kommission könnte aber bereits heute gute Dienste leisten.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit einem solchen Stufenplan den Kontrollverlust verhindern und die Dynamik des Infektionsgeschehens durchbrechen. Schnelltests müssen zielgerichtet und großflächig eingesetzt, digitale Möglichkeiten besser genutzt werden. Wir brauchen eine Informations- und Aufklärungsoffensive, die zielgruppenspezifisch, mehrsprachig und barrierefrei ist. Für die Akzeptanz der Regeln muss mehr geworben, über Verbreitungswege und Gefahren aufgeklärt werden. Wenn sich nur knapp 50 % der Menschen unseres Landes gut über die Maßnahmen der Corona-Pandemie informiert fühlen und die Akzeptanz für viele Maßnahmen seit dem Frühjahr beständig sinkt, dann muss uns das alarmieren und zum Handeln auffordern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen:
Erstens. Wir GRÜNE wollen ein bundesweit einheitliches, verbindliches Regelwerk, das differenziert nach Infektionsgeschehen und nach Regionen klare Vorgaben gibt und von der zu bildenden bayerischen Corona-Kommission auf den Freistaat he- runtergebrochen wird.
Zweitens. Wir wollen dazu den Sachverstand von außen nutzen. Wir wollen den Sachverstand aus der Wissenschaft in unsere Überlegungen einfließen lassen.
Drittens. Wir brauchen eine Informations- und Aufklärungskampagne. Wir müssen auf die Menschen zugehen, um die Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen zu erhöhen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Sorgen und Nöte, aber auch den Unmut der Menschen unseres Landes sehr ernst nehmen. Wir müssen den Menschen Zuversicht geben, dass ein Leben in den nächsten Wochen und Monaten auch unter Pandemiebedingungen ein gutes Leben sein kann, und dass wir alle irgendwann – hoffentlich bald! – wieder das Leben führen können, das wir vor Ausbruch der Pandemie geführt haben. Ein guter Plan kann hierbei sehr hilfreich sein. Deswegen sage ich: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
(Beifall bei den GRÜNEN)