Rede Jürgen Mistol
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen!
Wir alle, die wir hier sitzen, haben in den vergangenen zwei Jahren ein gerüttelt Maß an neuen Erfahrungen gemacht. Die Pandemie hat vieles verändert, und auf viele dieser Erfahrungen hätten wir allzu gern verzichtet. Aber ich sage auch: Es gibt nichts Schlechtes, das nicht auch etwas Gutes hat. – So besagt es das Sprichwort.
Für viele Menschen hat sich das Arbeiten in einem ungeahnten Ausmaß verändert. Vereine, Verbände, Initiativen, auch unsere Parteien und Fraktionen, haben gelernt, dass Gremiensitzungen als Webkonferenzen oft stringenter und zielorientierter ablaufen und uns zudem lange Wege ersparen. Wir haben vieles, was wir zunächst aus der Not heraus gemacht und ausprobiert haben, schätzen gelernt. Vieles davon wird bleiben. Homeoffice und Onlinekonferenzen werden unsere Arbeitswelt, werden das Leben der Menschen in unserem Land, in Bayern nachhaltig prägen.
Auch wir als Landtag haben aus der Not heraus etwas ausprobiert, und wir haben Erfahrungen gesammelt, so zum Beispiel mit dem Livestream von Ausschusssitzungen. Der Anlass war ursprünglich nur, auch während des Lockdowns Öffentlichkeit herzustellen – eben weil gemäß unserer Geschäftsordnung die Ausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen – und die Einhaltung der notwendigen Abstände auch in unseren begrenzten Räumlichkeiten zu gewährleisten.
Wir haben festgestellt: Das Streamen der Ausschusssitzungen kommt bei den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Landtagspresse sowie bei den Mitarbeitenden des Hauses, der Ministerien und der Fraktionen gut an. Ich frage mich heute eher: Warum sind wir nicht schon viel früher, schon vor der Pandemie, darauf gekommen, unsere Ausschusssitzungen zu streamen?
(Beifall bei den GRÜNEN)
Vieles von dem, was während der Pandemie innerhalb kurzer Zeit umgesetzt wurde, hätten wir schon lange vorher machen können. Doch erst in der Krise haben wir uns gezwungen gesehen, unsere Geschäftsordnung auf einen digitalen Modus umzustellen. Das mag daran liegen, dass viele Organisationen grundsätzlich Schwierigkeiten haben, Prozessinnovationen in ihre internen Abläufe zu integrieren. Mangelnde Veränderungsbereitschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen von CSU und FREIEN WÄHLERN, sollten aber gerade wir im Parlament nicht offen zur Schau tragen. Im Gegenteil, wir als Verfassungsorgan sollten die längst überfällige digitale Transformation unserer eigenen Dienstleistungen zügig umsetzen. Wir brauchen Fortschritt statt Rückschritt.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Ich sage es Ihnen sehr deutlich: Wir GRÜNEN stehen für ein offenes, transparentes Parlament. Unsere Arbeit im Landtag soll für alle Menschen in Bayern und darüber hinaus erlebbar sein, sei es durch einen Besuch im Landtag, sei es per Klick in die jeweilige Sitzung. Für politische Teilhabe sollte es keiner Tagesreise nach München bedürfen. Berufstätige Menschen müssen sich auch außerhalb ihrer Arbeitszeit durch Nutzung der Aufzeichnung einer öffentlichen Sitzung über diese informieren können.
Wie die Eingabe, über die wir ja heute ebenfalls sprechen, zeigt, wäre ein solches Streaming insbesondere für die Petentinnen und Petenten wichtig, die mitverfolgen wollen, wie sich der Ausschuss zu ihrem Anliegen verhält. Gerade für Berufstätige braucht es daher neben dem Livestream auch eine Aufzeichnung der Sitzung, wie sie in unserem interfraktionellen Geschäftsordnungsantrag gefordert wird.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Es steht also fest: Immer mehr Menschen informieren sich über Onlineformate. Zusätzlich zum Streaming der Plenarsitzungen ist es überfällig, dass dieser Service auch für die Ausschussarbeit etabliert wird. Neben der politischen Teilhabe für alle stellt ein solches Streaming auch eine enorme Arbeitserleichterung für alle diejenigen dar, die direkt mit der Landtagsarbeit befasst sind.
Warum sich die Regierungsfraktionen so hartnäckig weigern, diesen an sich kleinen Schritt in Richtung Digitalisierung des Landtags zu gehen, lässt sich wohl nur mit Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen in unserem Land, mit einer gehörigen Portion Trägheit und einem rückwärtsgewandten Weltbild erklären, das Sie offenbar unfähig macht, die Zeichen der Zeit zu erkennen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CSU und FREIEN WÄHLERN, die Zukunft liegt in der Vielfalt. Ich kann sie fühlen; ich kann sie schmecken. Passen Sie auf! Geben Sie Obacht! Es weht der Wind der Veränderung. Schärfen Sie Ihre Sinne, dann spüren Sie diesen Wind auch. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Zwischenbemerkung Jürgen Mistol
Präsidentin Ilse Aigner: Die zweite Zwischenbemerkung kommt von Herrn Kollegen Jürgen Mistol.
Jürgen Mistol (GRÜNE): Herr Kollege Dr. Mehring, wir diskutieren jetzt seit anderthalb Jahren über das Thema Livestream, unabhängig von der Pandemie. Die Legislaturperiode des Landtags dauert nur noch anderthalb Jahre. Wir sollten deshalb nicht mehr zu lange diskutieren; denn sonst ist die Periode vorbei. Bekanntlich bin ich einer, der gern Kompromisse schließt. Ich sage aber auch: Kompromisse müssen tragfähig und zweckmäßig sein, sonst werden wir keine Kompromisse eingehen. Herr Kollege Reiß hat als Kompromiss vorgeschlagen, bestimmte Highlights im Livestream zu übertragen. Das kann ich mir nicht vorstellen. Sollen wir wirklich bestimmen, was Highlights sind, vielleicht noch mit Mehrheit? Bei diesen "Highlights" sollen sich dann die Journalistinnen und Journalisten zuschalten dürfen, bei anderen Sitzungen aber nicht? – Das wird aus meiner Sicht nicht funktionieren. Ansonsten erwarte ich gerne Ihre Vorschläge.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Präsidentin Ilse Aigner: Herr Kollege Dr. Mehring, bitte.
Dr. Fabian Mehring (FREIE WÄHLER): Herr Kollege Mistol, lieber Jürgen, ich hoffe, es ist klar geworden, dass ich mich nach reiflicher Erwägung entschieden habe, heute eine sehr konziliante Rede zu halten. Nach deinen Ausführungen habe ich kurz geschwankt, ob ich es anders machen sollte. Herr Kollege Reiß und ich habe im Ältestenrat zugesagt, dass wir in den nächsten Wochen in dieser Sache zusammenkommen werden. Deshalb rege ich mich nicht stärker darüber auf, dass diese Anträge, um die Polit-Show zu bedienen, in dieses Parlament gespielt wurden.
Geärgert hat mich allerdings die Aussage, mit der den beiden Regierungsfraktionen Rückwärtsgewandtheit vorgeworfen wurde. Lieber Jürgen, niemand weiß besser als du, dass ich seit eineinhalb Jahren versuche, zwischen zwei Extrempositionen zu moderieren, nämlich der Position des Herrn Kollegen Fischbach auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Position, die Herr Kollege Reiß gerade dargestellt hat. Am Ende des Tages werden wir einen Konsens brauchen; und ich glaube, dass wir einen erzielen werden. Aber alle in einen Topf zu werfen und so zu argumentieren, wie du das in deiner Rede getan hast, fand ich in Kenntnis des bisherigen Diskussionsprozesses, über die du verfügst, unpassend. Ich werde bei meiner Rolle bleiben. Meine Fraktion kann sich bedeutend mehr Streaming vorstellen und macht konkrete Vorschläge, wie wir das auch umsetzen können.
(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)